Professionalität: Die Menschlichkeit steht im Fokus

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Die oftmals prekären Arbeitsbedingungen im Pflegebereich gefährden die eigene Gesundheit und sie widersprechen in zentralen Punkten auch den Berufspflichten und sowie dem Berufsethos (siehe Kasten). Doch der hehre Anspruch einer menschenwürdigen Betreuung und Begleitung der Patient:innen und deren Angehörigen verkehrt sich zusehends in sein Gegenteil.

Ohne einer empathischen und Patient:innen-orientierten Haltung sind sowohl Qualitätseinbußen in der Betreuung als auch eine Abnahme der Arbeitszufriedenheit der in Gesundheitsberufen Tätigen zu beobachten. Die Zufriedenheit aller Beteiligten hängt im hohen Maße davon ab, wie sehr eine menschliche Grundhaltung, Professionalität und Beziehungspflege gelebt werden kann.

Professionalität im eigentlichen Sinne zeichnet sich einerseits durch spezifische Anforderungen an diese Berufsgruppe, wie z. B. qualifizierte fachliche Kompetenz, aus. Ebenso werden allgemein erwartete Anforderungen an das Gesundheitspersonal gestellt, wie z.B. moralische Integrität, die das Wohl der Patient:innen als vorrangig betrachtet. Professionalität und Haltung im Kontext der Betreuung und Pflege ist jedoch keineswegs reduzierbar auf ein auf Perfektion ausgerichtetes Handeln zum Wohle der Betroffenen.

Haltung und Werte

Haltung verbindet sich vielmehr mit einer bestimmten Werteorientierung, die sich im Handeln, das sich an diesen Werten ausrichtet, zeigt. Ethik ist demnach nicht nur eine Frage des Verhaltens, was getan werden soll, sondern auch eine Frage der Haltung, wie etwas getan werden soll.

Professionelles Handeln hat einen inhärenten Moralbezug. Das englische Wort "professionalism", das im deutschen Sprachgebrauch noch am ehesten als „Professionsethik“ übersetzt werden kann, beschreibt das Verhalten, sich an berufsethischen Normen zu orientieren, die bei Verletzung berufsrechtlich auch sanktioniert werden können. Die Definition von professioneller Pflege beinhaltet beispielsweise die Berücksichtigung ethischer Richtlinien.

Professionelle Pflege braucht mehr

Professionelle Pflege umfasst mehr als die mechanische Erledigung eines geplanten Maßnahmenkatalogs. Die Umsetzung dieses Anspruches ist in den Gesundheitseinrichtungen, die einer Kosten-Nutzen-Logik folgen, jedoch nur eingeschränkt möglich. Dies begründet sich darin, dass Abläufe, die einer Kosten-Nutzen-Logik entsprechen, standardisiert und nicht individualisiert sind. Die Gegenüberstellung von professionellen Strategien mit zweckrationalen Betreuungsprozessen mit einer konsequent am einzelnen Menschen orientierten Pflege und Begleitung, stellen die generelle Ambivalenz im Bereich der Sorgearbeit dar.

Professionalität zeigt sich in einer reflektierten, professionellen Haltung, die den anvertrauten Menschen in den Fokus setzt. Eine erhöhte kritisch-reflexive Auseinandersetzung ist unumgänglich, z.B. in Situationen, die einer Entscheidungsfindung bedürfen und moralische Dilemmata beinhalten. Die Professionsethik beinhaltet die Erwartung und Orientierung von Handlungen und Reflexionen an ethischen Prinzipien. Jedoch kann ein Spannungsfeld zwischen dem berufsethisch Geforderten und dem ethisch Begründbaren entstehen und zu einer Behandlungsverweigerung aus persönlichen Gewissens- und Interessenskonflikten führen.

It's the economy

Ökonomische Kriterien werden zunehmend zur Prämisse im Verständnis von professionellem Handeln und Professionalisierungsprozessen. Die Steigerung des Dokumentations- und Kontrollaufwandes führt zusätzlich zu einem Autonomieverlust, der in weiterer Folge eine Deformierung und Deprofessionalisierung der Gesundheitsberufe nach sich zieht. Dies könnte eine Konsequenz der Modernisierung sein, in der unterschiedliche Berufsstände homogenisiert und Leistungen einer neoliberalen Marktwirtschaft untergeordnet werden. Durch den mit der Homogenisierung einhergehendem Verlust berufstypischer Einzigartigkeiten, verkommt die primäre Berufsmoral des Helfens zu einer Attrappe. Die Autonomie und das Berufsethos werden wirtschaftlichen Prioritäten untergeordnet.

Jedoch könnte gerade eine verstärkte Rückbesinnung auf Berufseide diesen Ökonomisierungsdruck aufbrechen. Personen, die einen Berufseid geleistet haben, der somit auch Teil einer organisatorisch verfassten Profession ist, stehen unter dem jeweiligen Schutz dieser Organisationen und können sich so auch vor berufsfremden Eingriffen verteidigen. Dies sollte in allen Gesundheitsbereichen wieder mehr ins Bewusstsein gerückt werden.

Was sagt der Ethikkodex?

Laut dem ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen gelten die pflegeethischen Pflichten und Werte für alle Formen von pflegerischer Versorgung und in allen Rollen, einschließlich der politischen Entscheidungsträger:innen. Damit der ICN-Ethikkodex wirksam sein kann, muss dieser nicht nur den Pflegefachpersonen, sondern u.a. auch den Menschenrechtsorganisationen, der breiten Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgerinnen vertraut gemacht werden. Die ethischen Grenzen beruflichen Handelns müssen aufgezeigt werden.

Somit teilen Pflegefachpersonen mit der Gesellschaft die Verantwortung, Maßnahmen zu initiieren und zu unterstützen, die den gesundheitlichen und sozialen Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden.

Literatur

  • ICN (2021). Der ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen. Genf.
  • Hotze, E. (2019). Professionalität. Professionalität und Haltung – ein Widerspruch in der Palliative Care? Haltung im gesellschaftlichen und professionellen Kontext. Jubiläumsschrift 10Jahre pflegen:palliativ, pflegen:palliativ 41/2019: Fatigue, Seelze: Friedrich Verlag GmbH, 12–15.
  • Monteverde, S. (2017). Die Bedeutung der Professionsethiken im Zeitalter der Interprofessionalität. Bioethika Forum 2017, Vol. 10, No. 3/4, 98–99.         
  • Wils, J.-P./Baumann-Hölzle R. (2017). Professionalität – was heißt das? Bioethika Forum 2017, Vol. 10, No. 3/4, 95–97.

Veröffentlicht: 27. April 2023