Bedeutsam, geduldet und unerwünscht

Eine kurze Geschichte der Arbeitsmigration

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Schon im 18. Jahrhundert war Österreich Ziel von Wanderarbeiter_innen aus dem gesamten Habsburgerreich. Sie arbeiteten vor allem im handwerklichen Bereich, unter anderem in den Wiener Ziegelfabriken. Staatlich organisierte, aus volkswirtschaftlicher Sicht erwünschte Arbeitsmigration, wie sie derzeit vor allem im Bereich der Pflege, aber auch im Rahmen der Mangelberufslisten im handwerklichen und Dienstleistungsbereich als Weg gesehen wird, dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, fand in Österreich erstmals ab den 1960er Jahren statt. Grundvoraussetzung für diese Form der Arbeitsmigration ist bis heute ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Anwerbe- und Entsendeländern.

Zur Zeit der ersten staatlichen Arbeitskräfteanwerbung war dieses Ungleichgewicht gegeben. Durch das voranschreitende Wirtschaftswachstum in Österreich wurden ab dem Ende der 1950er Jahre vermehrt Arbeitskräfte benötigt. Zu Beginn der 1960er Jahre betrug die Inflation weniger als fünf Prozent. Mit einer Arbeitslosenquote von unter drei Prozent war praktisch Vollbeschäftigung gegeben. Verstärkt wurde der Arbeitskräftemangel durch den Eintritt geburtenschwacher Jahrgänge in den Arbeitsmarkt, eine sinkende Beteiligung von Frauen an der Erwerbsarbeit, längere Ausbildungszeiten und das herabgesetzte Pensionsantrittsalter.[1] Für schlecht  bezahlte, körperlich anstrengende und gesellschaftlich nur wenig wertgeschätzte Berufe konnten kaum mehr einheimische Arbeitskräfte gefunden werden.[2]

 
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1961 wurde erstmalig die offizielle Anwerbung von Arbeitsmigrant_innen beschlossen. Der österreichische Gewerkschaftsbund und die Bundeswirtschaftskammer einigten sich darauf ein Gesamtkontingent an jugoslawischen Arbeitskräften zur Beschäftigung in Österreich zuzulassen.[1] Die Arbeiter_innen sollten, entsprechend dem Rotationsprinzip, für einige Zeit in Österreich beschäftigt werden und danach wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren.[2] Auf das 1961 abgeschlossene erste Anwerbeabkommen folgten drei weitere mit Spanien, Jugoslawien und der Türkei, wobei das Abkommen mit Spanien  wenig Erfolg zeigte.[3]

Die angeworbenen Arbeiter_innen wurden als Regulator_innen am Arbeitsmarkt eingesetzt. Dadurch fehlte ihnen jegliche Arbeitsplatzsicherheit. Durch das Nachrücken von geburtenstärkeren Jahrgängen österreichischer Herkunft und eine wirtschaftliche Rezension reduzierte sich die Zahl der Arbeitnehmer_innen nichtösterreichischer Herkunft bis 1984 um nahezu 40 %.[4]

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Bis zum Schluss blieben die Arbeitsverhältnisse der jugoslawischen und türkischen Arbeiter_innen prekär. Gut bezahlte Jobs blieben österreichischen Staatsbürger_innen und Einwanderer_innen aus Ländern West- und Mitteleuropas vorbehalten.[5]

Die Lebenswelt der Gastarbeiter_innen in Österreich war von politischen Bedingungen in den Entsende- und den Aufnahmeländern abhängig. Die Migrant_innen lebten in einem Spannungsfeld zwischen den zwei Ländern und den jeweiligen kulturellen und religiösen Werten. Schwierige Arbeits- und Lebensbedingungen wurden auf Grund von Erwartungen und Verantwortung gegenüber den Familien in Kauf genommen. Gleichzeitig kam es zum Verlust von Bindungen und vom sozialen Netzwerk. Im Aufnahmeland wurden Erfahrungen von Anerkennung und Diskriminierung gemacht. Die Gastarbeiter_innen galten als wirtschaftlich bedeutsam, politisch geduldet und sozial unerwünscht.[6]

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Ein Alltag, der auch heute für die in der Pflege und Betreuung tätigen Arbeitsmigrant_innen real ist. Auch sie werden für Tätigkeiten angeworben, die die von schon in Österreich lebenden Personen, auf Grund von schwierigen Arbeitsbedingungen, geringer Bezahlung und mangelndem, gesellschaftlichen Ansehen nicht mehr in ausreichendem Maße erfüllt werden können und wollen. Ähnlich, wie die Gastarbeiter_innen der 1960er bis 1980er Jahre, berichten z.B. 24-h Betreuer_innen von Stundenlöhnen, die mit einer Höhe von zwei bis drei Euro weit unter dem österreichischen Durchschnitt liegen, Diskriminierungserfahrungen, Überforderung im Arbeitsalltag und fehlenden Ansprechpersonen.[7]

Die Geschichte wiederholt sich, die Landesregierungen Österreichs, die Bundesregierung, die Wirtschaftskammer und alle beteiligten Stakeholder haben nichts aus der Vergangenheit gelernt. Erneut suchen sie, anstatt den Professionist_innen in Pflege- und Betreuungsberufen die verdienten Arbeitsbedingungen und entsprechende Bezahlung zu ermöglichen und den Stellenwert ihrer Arbeit gesamtgesellschaftlich zu erhöhen, nach Möglichkeiten die Bedingungen gleichbleibend schlecht zu halten. Arbeitskräfte werden als Wegwerfware gesehen. Sie sind Mittel zum Zweck unsere Gesellschaft am Laufen zu halten ohne Umdenken zu müssen.

Tamara Mandl, BA, MA (Sozialarbeiterin im Pflegebereich

Literatur:

Biffl, Gudrun (1986): Der Strukturwandel der Ausländerbeschäftigung in Österreich. In Wimmer, Hannes (Hrsg.), Ausländische Arbeitskräfte in Österreich. (S. 33 – 87). Frankfurt: Campus Verlag

Der Standard (2021): Amnesty International sieht Menschenrechtsverletzung in Österreichischer 24-h Betreuung. 01.07.2021

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Biffl (1986): S. 33

[2] Vgl. Faßmann, Heinz & Münz Rainer (1995): Einwanderungsland Österreich? Historische Migrationsmuster, aktuelle Trends und politische Maßnahmen. Wien: Jugend & Volk: S. 13

[3] Vgl. Wollner (2010): S. 82 f

[4] Vgl. Faßmann, Heinz (1992): Funktion und Bedeutung der Arbeitsmigration nach Österreich seit 1973. In Althaler, Karl S. & Hohenwarter, Andrea (Hrsg.) Torschluss – Wanderungsbewegungen und Politik in Europa. (S. 100 - 110). Wien: Verlag für Gesellschaftskritik: S. 103

[5] Vgl. ebd. S. 103

[6] Vgl. Ertl, Angelika (2009): Angekommen!? – Entwicklungsaufgaben im Alter bewältigen. In Schaefer, Jaques-Emmanuel (Hrsg.), Alter und Migration. Tagungsband der 15. Gerontopsychiatrischen Arbeitstagung des Geriatrischen Zentrums an der Universitätsklinik Tübingen. (S. 52 – 75). Frankfurt am Main: Mabuse Verlag: S. 54

[7] Vgl. Der Standard (2021): Amnesty International sieht Menschenrechtsverletzung in Österreichischer 24-h Betreuung. 01.07.2021